«Wir haben gelernt, Männern zu gefallen»

Wir trafen Sara Satir und Marah Rikli, Podcasterinnen der Frauenzentrale Zürich, zu einem Gespräch über Feminismus, Erschöpfung und Konkurrenz unter Frauen.

Herzlichen Glückwunsch zum neuen Podcast «Sara und Marah im Gespräch mit…» der Frauenzentrale Zürich. Erzählt mal: Wie kam es dazu?

Marah Rikli: Vor etwa sechs Jahren haben wir uns durch Texte über unsere Kinder, die beide eine Behinderung haben, kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Als ich Sara das erste Mal traf, dachte ich: Endlich jemand, der versteht, wovon ich rede, wenn ich die Kämpfe mit der IV anspreche oder die Behindertenfeindlichkeit, die ich mit unserer Tochter im Alltag erlebe. Wir konnten sowohl gemeinsam weinen als auch lachen und feiern. Am Anfang hatten wir tatsächlich die Idee, ein Buch zusammen zu schreiben …

Sara Satir: Nachdem wir gemeinsam über pflegende Elternschaft auf der Bühne im Debattierhaus Karl der Grosse in Zürich gesprochen hatten, erkannten wir, wie gut wir uns verstehen und ergänzen. Beide hatten wir den starken Wunsch, denjenigen eine Stimme zu geben, die über die Themen sprechen wollen, die uns bewegen. So entstand die Idee zu einem Podcast, welcher der Polarisierung unter Frauen entgegenwirken und einen Beitrag zu einem respektvollen Dialog und einer Debatte zwischen Frauen leisten soll. Da wir bereits die wertvolle Arbeit der Frauenzentrale Zürich kannten und schätzten, wagten wir es, ihnen von unserer Idee zu erzählen. Wir haben vor Freude getanzt, als sie begeistert zusagten.

Die Frauenzentrale ist für ihr «Züri Löwinnen»-Programm bekannt, mit welchem sie Frauen unterstützt, die politisch aktiv werden möchten. Inwiefern seht ihr euch als Zürcher Löwinnen und seid politisch aktiv?

Sara Satir: Ich betrachte mich selbst als politischen Menschen. Aktuell engagiere ich mich für die Annahme der Inklusionsinitiative. Auf meinen Social-Media-Kanälen mache ich wiederholt auf politische Themen aufmerksam. Und in meiner Kolumne fürs «Migrosmagazin» versuche ich, mit anschaulichen Schilderungen zu verdeutlichen, was es bedeutet, die Mutter eines Sohnes mit einer Behinderung zu sein. Dabei verfolge ich stets das Ziel, Vorurteile abzubauen und Brücken zu schlagen. Ein Lehrer hat mir einmal das Versprechen abgenommen, dass ich in die Politik gehe. Bis jetzt habe ich dieses Versprechen nicht eingelöst, aber wer weiss, was die nächsten Jahre bringen.

Marah Rikli: Meine Arbeit wurde in den letzten Jahren zunehmend politischer. Anfangs schrieb ich über meine persönlichen Gedanken und Herausforderungen als Mutter. Doch mit der Zeit verlagerte sich mein Fokus auf die gemeinsamen Erfahrungen von Müttern, insbesondere von pflegenden Eltern. Heutzutage halte ich Reden am feministischen Streiktag, bei Inklusionskonferenzen und bin als Gästin in Podiumsdiskussionen vertreten. Darüber hinaus engagiere ich mich im Vorstand des Vereins «Tatkraft» des SP-Politikers Islam Alijaj. In den kommenden Jahren werde ich darüber nachdenken, ob ich mein politisches Engagement noch weiter ausbauen möchte.

Was versprecht ihr euch vom Podcast, und wer ist die Zielgruppe?

Sara Satir: Wir wollen herausfinden, was uns Frauen im Alltag beschäftigt, was es bedeutet, eine Frau zu sein und wie die Erfahrungen des Frauseins unsere Prägung und Sozialisation beeinflussen. Wir möchten beleuchten, wie Frauen ihre Kinder erziehen und Beziehungen gestalten. Unser Ziel ist es, ein breites Publikum anzusprechen, darunter nicht nur Menschen, die sich als Frau identifizieren oder weiblich sozialisiert wurden.

Marah Rikli: Die SP-Politikerin Mandy Abou Shoak sagte in einer Rede zum feministischen Streiktag: «Wer hört uns zu, wenn wir uns selbst nicht zuhören.» Wir versprechen uns vom Podcast, dass wir einander mehr zuhören, auch wenn wir in unterschiedlichen Lebenswelten sind und dadurch solidarischer, stärker und lauter werden.

Ihr wollt also vor allem gehört werden.

Sara Satir: Genau. Und nur durch Solidarität können wir uns gemeinsam gegen sexualisierte Gewalt, gegen Rassismus, Behindertenfeindlichkeit oder gegen Armut stark machen und sind weniger abhängig von Männern.

Marah Rikli: Wir weiblich sozialisierten Menschen haben nämlich grösstenteils gelernt, dass wir den Männern gefallen sollen und andere Frauen als Konkurrenz betrachten. Statt uns zu verbünden, kämpfen wir oft gegeneinander. Dieser Podcast soll gegen diese erzeugten Grabenkämpfe wirken und eine Debatte zulassen. Wir sind der Meinung, dass es dringend mehr Diskussionen braucht.

«Ich wünsche mir eine Care-Revolution, die der Care-Arbeit den Platz zuweist, der meiner Meinung nach in der Mitte unserer Gesellschaft liegt.»

Sara Satir, Coach, Kolumnistin, Podcasterin

Mit welchen Interviews kann euer Publikum rechnen, und wer sind eure geplanten Gäste?

Sara Satir: Wir streben an, eine breite Palette von Menschen anzusprechen und Raum für Austausch und Reflexion zu schaffen. Und vor allem wollen wir Frauen verbinden. Jede, die an den genannten Themen interessiert und offen für verschiedene Perspektiven ist, kann profitieren. Wir selbst haben unkonventionelle Lebenswege und vielfältige Erfahrungen gemacht, die wir in unsere Gespräche einbringen. Dies verleiht unserem Podcast eine persönliche Note und ermöglicht es den Zuhörerinnen, sich mit den Themen und Herausforderungen des Frauseins zu identifizieren. Wir werden auch das Thema Resilienz behandeln und zeigen, wie Menschen Stärke und Widerstandskraft entwickeln können, um mit Krisen und Schicksalsschlägen umzugehen. Unser Ziel ist es, Ideen und Inspiration zu bieten und den Hörerinnen zu zeigen, dass sie nicht allein sind und dass sie ihre eigene Stärke entfalten können.

Marah Rikli: Was unsere zukünftigen Gästinnen betrifft, können wir bereits einige Namen nennen: Olivia El Sayed, Yuvviki Dioh, Kristina Kekic, Andrea Jansen und Steffi Buchli, sofern uns nicht das Leben dazwischenkommt. Zudem planen wir Überraschungsgästinnen, darunter einige aus Deutschland. Wir sind offen für Vorschläge und arbeiten auch an der Umsetzung von Live-Events.

Was ist euch im Feminismus persönlich wichtig, und was möchtet ihr verändert sehen?

Sara Satir: Für mich ist die Gleichstellung aller Menschen eine Selbstverständlichkeit, keine Utopie. Schon mit zwei Jahren lief ich das erste Mal mit meiner Mutter und ihren Freundinnen bei einer Frauendemo mit, was mich nachhaltig prägte. Die Ungleichbehandlung von Männern und Frauen hat mich bereits als Kind gestört. Durch meine Mutterschaft wurde ich noch stärker für dieses Thema sensibilisiert. Seit Jahren setze ich mich persönlich für die Anerkennung von Care-Arbeit ein. Diese Form der Arbeit wird grösstenteils von Frauen geleistet, ist jedoch nicht ausreichend anerkannt, und die damit verbundenen Berufe sind traditionell schlecht bezahlt. Die unbezahlte Care-Arbeit neben einer Erwerbstätigkeit führt zu einer doppelten Belastung in Familie, Beruf und im sozialen Leben. Ich wünsche mir eine Care-Revolution, die der Care-Arbeit den Platz zuweist, der meiner Meinung nach in der Mitte unserer Gesellschaft liegt.

Marah Rikli: Ich betrachte den Feminismus als ein zusammenhängendes und intersektionales Konzept. Ich möchte einen Feminismus fördern, der alle FLINTAs (Frauen, Lesben, intersexuelle, nicht-binäre, trans und agender Personen, Anm. d. Redaktion) miteinbezieht und niemanden allein zurücklässt. Dieser Feminismus sollte sich um mehr kümmern als nur um gleiche Löhne und die Besetzung von CEO-Positionen und alle Lebenswelten berücksichtigen.

«Wir sehen uns überhaupt nicht als Mütter, die alles unter einen Hut bringen.»

Marah Rikli, Autorin, Moderatorin, Podcasterin


Inwiefern beeinflusst eure persönliche Situation, wie eure Partner- und Elternschaft, euren Wunsch im Bereich Feminismus?

Marah Rikli: Meine persönliche Situation hat Einfluss auf alles, was ich tue und wie ich lebe. Sie beeinflusst mein Denken, meine Arbeit und meine Solidarität im Aktivismus. Als Beispiel kann ich anführen, dass ich gestern nach einem Tag der Betreuung meiner Tochter mit schlimmen Rückenschmerzen beim Abendessen sass und sehr erschöpft war. Doch ich wusste, dass ich im Notfall jemanden aus meinem Umfeld hätte anrufen können und Hilfe, sei es auch nur emotionale Unterstützung, verfügbar gewesen wäre. In diesem Moment dachte ich daran, wie es einer Mutter in solchen Situationen ergehen würde, die kein soziales Netzwerk hat, alleinerziehend ist, mehrere Kinder hat, eines davon mit einer Behinderung, die die Landessprache nicht beherrscht oder selbst gesundheitliche Probleme hat. Daher hat meine persönliche Erfahrung einen Einfluss auf meinen Wunsch im Zusammenhang mit Feminismus.

Sara Satir: Marah spricht mir mal wieder aus dem Herzen.

Zum Abschluss die Frage, die in der Schweiz oft an berufstätige Mütter gerichtet wird: Wie schafft ihr das alles? Euren Beruf, die Familie, die Betreuung eines Kindes mit besonderen Bedürfnissen und jetzt auch noch einen Podcast?

Marah Rikli: Es ist wichtig, dass wir sehr vorsichtig sind, um nicht das Bild einer Frau zu produzieren, das wir eigentlich aufbrechen möchten. Wir sehen uns überhaupt nicht als Mütter, die alles unter einen Hut bringen.

Sara Satir: Tatsächlich sind wir oft erschöpft. Doch das laute Sprechen über unsere Erfahrungen und unsere Arbeit gibt uns auch Kraft. Manchmal herrscht bei uns zu Hause Chaos, die Wäsche stapelt sich, die Blumen im Garten vertrocknen und es gibt Fertigessen. Sehr oft sitzen wir abends im Pyjama vor dem Computer, haben noch nicht geduscht und das geplante Yoga wurde wieder einmal verschoben.

Erschienen im Mamablog vom 26.09.2023

Infos zur Frauenzentrale Zürich

Die Frauenzentrale Zürich ist ein gemeinnütziger, steuerbefreiter Verein und der grösste Dachverband von Frauenorganisationen im Kanton Zürich. Sie unterstützt, vernetzt und vertritt die Anliegen von Frauen in Politik, Arbeitswelt und Gesellschaft und bietet mit einem breiten Beratungs- und Weiterbildungsangebot Hilfe zur Selbsthilfe – seit 1914. Sie ist parteipolitisch unabhängig und konfessionell neutral.

Als Nonprofit-Organisation unterstützt die Frauenzentrale Zürich die Frauen auf ihrem Weg zu einem selbstbestimmten Leben. Neben politischen Aktionen und Programmen setzt sie sich für mehr finanzielle Bildung von Frauen ein und organisiert Finanzkurse und Workshops rund um das Thema Frauen und Finanzen. Mit eindrücklichen Kampagnen macht sie zudem auf Missstände aufmerksam und zeigt auf, wo Frauen in der Schweiz diskriminiert und benachteiligt werden.

Mehr Informationen: frauenzentrale-zh.ch.

Die Frauenzentrale Zürich auf Instagram: instagram.com/frauenzentrale_zh

Infos zum Podcast: Sara & Marah im Gespräch mit…

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