Warum ich die Noten meiner Kinder nicht kenne

Albert Einstein soll mal gesagt haben: «Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.» Mir wurde erst kürzlich klar, was das für mich als Teenagermutter bedeutet.

In guter Absicht

In all den Jahren des «steten Tropfen», der angeblich den Stein höhlen soll, haben wir unseren Kindern gute Ratschläge gegeben, sie motiviert, manchmal gar ein wenig gepusht. Fürs Leben, für die Schule, für die Lehre. Am Ende für sie. Natürlich nur mit guten Absichten, wir Eltern wollen ja nicht, dass die Kinder Nachteile haben oder die exakt gleichen Fehler machen wie wir damals. Aber auch, weil wir einfach besser wissen, was funktioniert und was nicht. Beispiel: Lernen. «Du machst es ja für dich, nicht für die Schule», hiess es schon damals, erinnern Sie sich? Seien wir ehrlich, diesen Spruch haben wir als Teenager auch nicht verstanden. Geschweige denn verinnerlicht. Auch wenn er natürlich stimmt, auch heute noch.

Doch ein Teenagerhirn kann das offenbar nicht umsetzen, die Prioritäten liegen ganz woanders: bei Freunden, schlafen (ausser nachts) und der trendigen Frisur. Sicher nicht bei den Noten, der Ausbildung, der Leistung. Natürlich wissen wir Erwachsenen es besser! Wir wissen, dass, wenn man nicht dranbleibt, es kurz vor der Prüfung schwieriger wird, alles noch in den Kopf zu kriegen. Dass saubere Notizen helfen. Und nicht zuletzt, dass es einfach nötig ist, zu lernen. Genau das predigen wir unserem Nachwuchs.

Mut zur Radikalität

Und jetzt die Frage: Hat es bisher genützt? Wohl eher selten. Unser Grosser ging als kleiner Mann sehr gerne zur Schule, war neugierig und trumpfte auch stolz mit seinem Wissen auf. Bis er in die Mittelstufe kam, bis es ernst wurde. Und schwerer. Da konnte das kleine, selbst ernannte Genie plötzlich nicht mehr einfach Tatsachen aus dem Ärmel schütteln, die er in der Sendung mit der Maus gelernt hatte. Er musste plötzlich richtig etwas dafür tun. Denn es ist nun mal nicht so einfach, alle Bestandteile einer Blüte zu benennen, einen Vortrag vorzubereiten oder plötzlich eine Matheprüfung zu schreiben, wenn man das halbe Semester verschlafen hat. Wir Eltern wissen das. Die Kids? Die müssen das offensichtlich selbst erfahren.

Weshalb ich mich zu einem radikalen Schritt entschieden habe: Ich lasse meine Kinder ab sofort in Ruhe. Sie sollen selbst entscheiden, was nötig ist. Sie sollen Hausaufgaben machen. Oder nicht. Auf Prüfungen lernen. Oder nicht. Ihre Ausbildung abschliessen. Oder eben nicht. Es ist ihre Schulzeit, ihre Zukunft. Ich mag mir nicht mehr den Mund fusselig reden, nachfragen, mahnen und manchmal gar in Panik geraten, weil sie die Dringlichkeit der Aufgabe nicht sehen. Denn wie gesagt, es nützt ja offenbar nichts.

(Fast) keine schlaflosen Nächte mehr

Mein Grosser schliesst nächstes Jahr seine Lehre ab. Ich habe keine Ahnung, ob er dafür schon angefangen hat zu lernen (die Vermutung liegt näher bei einem «eher nicht» als bei einem freudigen «Ja!»). Ich weiss nicht, welche Noten er momentan in der Schule schreibt, wie sein Durchschnitt ist oder ob er überhaupt hingeht. Auch habe ich keinen Plan, was er für die Abschlussprüfung alles können und wissen muss. Und wissen Sie was? Es ist befreiend!

Habe ich aufgegeben? Vielleicht. Sicher ist aber, dass die Stimmung zu Hause seither viel gelöster ist. Ich ärgere mich nicht mehr, habe (fast) keine schlaflosen Nächte mehr und fühle mich auch nicht mehr so unfähig, weil ihn meine Ratschläge sowieso nicht interessieren. Wie er das sieht? Das weiss ich nicht genau, sehe aber, dass er plötzlich was für die Schule tut, sich mit Freunden zum Lernen trifft und sich für die Prüfungsvorbereitung angemeldet hat. Als ob ein Licht aufgegangen wäre, dass es eben seine Ausbildung, seine Zukunft ist. Und ich lerne loszulassen. Meistens.

Erstmals erschienen im Mamablog 2023.

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