Tages Anzeiger: Väter im Kampf gegen narzisstische Mütter

Hinter den Kulissen des Sorgerechts: Im Interview beleuchtet Oliver Hunziker, Präsident des Dachverbandes für gemeinsame Elternschaft, die Herausforderungen, denen Väter gegenüberstehen, wenn sie ihre Kinder aus schwierigen Situationen mit narzisstischen Müttern befreien wollen.

Unser Bericht über narzisstische Mütter (ohne Paywall hier zu lesen) hat erhebliches Interesse geweckt. Insbesondere äusserte sich Oliver Hunziker, Präsident der Vereinigung für gemeinsame Elternschaft, dazu: «Die Väter kämpfen oft vergeblich darum, ihre Kinder aus den Fängen narzisstischer Mütter zu befreien.» In unserem Interview erläutert er die Hintergründe und seine Unterstützung für betroffene Väter. Selbstverständlich ist dies kein ausschliessliches Genderthema; das Interview beleuchtet nur eine Seite der Problematik.

Herr Hunziker, nach der Lektüre des Artikels über narzisstische Mütter kamen Sie auf uns zu und meinten, eine Antwort darauf zu haben, wo die Väter waren, als die Mütter ihre Kinder psychisch misshandelten. Wo waren sie?

Darauf gibt es viele Antworten. Ein wesentlicher Aspekt sind die Fälle, in denen die Väter nicht mehr mit der Familie zusammenleben. Entweder aus eigenem Entschluss oder aber durch ein von der Mutter eingeleitetes Trennungsverfahren. Viele dieser Väter verlieren den Kontakt zu den Kindern ungewollt, aber fast vollständig, was in den meisten Fällen mit der Situation der Mutter zu tun hat. Was dann viel zu häufig geschieht, kennt man unter dem Begriff «Eltern-Kind-Entfremdung» und ist etwas vom Traurigsten, das ich kenne.

Oliver Hunziker hat 2009 das erste Männer- und Väterhaus gegründet. Er ist im Vorstand von Pro Familia Schweiz, und er ist einer der Vorkämpfer für ein gemeinsames Sorgerecht, welches im Jahr 2014 eingeführt wurde. Oliver Hunziker ist geschieden und Vater von zwei erwachsenen Söhnen. Er lebt in einer Patchworkfamilie im Kanton Aargau.

Was sind die Ursachen dieser Entfremdung?

In den allermeisten Fällen muss leider angenommen werden, dass im Hintergrund psychische Erkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen wie Narzissmus eine Rolle spielen.

2017 trat das neue Unterhaltsrecht und damit die alternierende Obhut in Kraft. Bis heute regelt jedoch lediglich knapp die Hälfte der Eltern die Obhut ihrer Kinder auf diese Weise. Es scheint also nicht immer so einfach zu sein, wie es klingt, oder?

Das Modell ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Es erleichtert Eltern und insbesondere Vätern, nach einer Trennung aktiv im Leben der Kinder zu verbleiben. Wo die alternierende Obhut funktioniert, ist die Entfremdung weit seltener zu beobachten. Zudem kann der getrennt lebende Elternteil Defizite des anderen weiterhin kompensieren, so wie er oder sie das vermutlich schon während der Beziehung getan hat. Bricht aber der Kontakt ab, verlieren die Kinder genau diese wichtige Komponente, diesen «Schutz».

Können Sie uns Beispiele nennen?

Leider ja. Ein Mann trennt sich von seiner Frau, weil er mit der schwierigen Situation zu Hause nicht mehr länger klarkommt. Er stellt klar, dass er sich weiterhin um die Kinder kümmern will, und schlägt eine alternierende Obhut vor. Die Mutter weigert sich jedoch und beginnt, ihren Ex-Mann bei den Behörden schlechtzumachen. Mit fadenscheinigen Gründen verhindert sie den Kontakt zum Vater, oft steht er freitagabends vor verschlossener Tür, wenn er seine Kinder abholen will.

Wie genau äussert sich die Mutter vor den Behörden und den Kindern?

Vor Gericht behauptet die Mutter, der Vater sei gewalttätig und vernachlässige die Kinder. Obwohl diese Behauptungen unbelegt sind, zeigen sie vor Gericht Wirkung. Sie lässt die Kinder spüren, dass sie unglücklich ist, wenn sie zum Vater wollen, und reagiert noch schlimmer, wenn sie von tollen Erlebnissen bei ihm erzählen. Der Loyalitätskonflikt für die Kinder ist enorm, sie lehnen den Vater ab, um Mama nicht zu schaden. Diese Haltung, auch gegenüber den Fachleuten, ermöglicht es der Mutter, das Besuchsrecht zu sistieren. Der Kontakt zum Vater bricht ab. Solche und ähnliche Beispiele gibt es zuhauf.

Wie wurde in diesen Fällen die Persönlichkeitsstörung «diagnostiziert»? Oder ist die Mutter einfach immer die Böse?

Nein, diese Situationen sind nicht geschlechtsspezifisch. Es trifft aber auch heute noch mehr Väter als Mütter, weil nach einer Trennung weitaus mehr Kinder bei der Mutter verbleiben, auch wenn das nicht immer die beste Lösung ist. Fakt ist leider auch, dass häufig in solchen Konstellationen der psychisch gesunde Elternteil eher bereit ist, Kompromisse einzugehen, und gerade deswegen oft das Nachsehen hat. Am schlimmsten leiden jedoch die Kinder.

Wie wird eine Persönlichkeitsstörung in solchen Fällen überhaupt erkannt?

Wie in Ihrem Artikel beschrieben, ist eine echte Diagnose meist nicht möglich. Nur das Gericht könnte die betroffene Person zu einer psychiatrischen Abklärung zwingen, tut das aber so gut wie nie. In der Regel sind es also Laiendiagnosen. Dies ändert jedoch nichts an der Ausgangslage, sondern lediglich an deren gerichtsfester Beweisbarkeit. Eine korrekte Diagnose kann nur ein Psychiater erstellen, und dazu braucht es die Bereitschaft der betroffenen Person, die selten bis nie vorhanden ist. Entscheidend ist aber nicht die Diagnose, sondern vielmehr, wie die Mutter oder der Vater im Alltag agiert. Hält sie sich an Abmachungen? Kann er zugunsten anderer zurückstecken? Kann sie eigene Fehler eingestehen? Hält er es aus, dass das Kind auch den anderen Elternteil liebt?

Und wie helfen Sie konkret?

In erster Linie emotional. Wir helfen den Vätern, zu verstehen, was gerade geschieht. Zudem bieten wir rechtliche Informationen und Zugang zu Wissensquellen. Direkte Beratung leisten wir selbst, während unser Dachverband durch politische Arbeit und die Sensibilisierung der Bevölkerung und der Fachwelt indirekt unterstützt.

Hat das neue Scheidungsrecht den Vätern nicht mehr Rechte zugesichert?

Das neue Scheidungsrecht hat die Ausgangslage für viele verbessert. Doch gerade bei psychisch labilen Eltern gibt es leider immer noch tragische Fälle. Das Problem liegt weniger beim Gesetz selbst als bei dessen Umsetzung. Hier gibt es grosse Unterschiede zwischen den Kantonen und Regionen. Die Weiterbildung und Sensibilisierung von Richtern, Kesb-Behörden, Beiständen und anderen Fachpersonen muss weiter ausgebaut werden, auch mit unserer Unterstützung.

Warum können diese Väter ihren Kindern nicht besser helfen? Sie zu sich nehmen und schützen?

Weil sie nachweisen müssten, dass die Mütter eine Gefahr für die Kinder sind. Und rechtlich wird Gefahr oft nur als physische Gefahr betrachtet, was selten der Fall ist und darum schwer zu beweisen. Der Vorwurf, die Mutter sei psychisch krank, wird den Vätern meist zum Nachteil ausgelegt. Je stärker sich die Väter engagieren, um auf den Missstand aufmerksam zu machen, desto mehr werden sie als störend, als aufsässig oder gar aggressiv wahrgenommen. Das führt dazu, dass man ihnen noch weniger glaubt. Es ist ein Teufelskreis, den die Väter alleine nicht durchbrechen können.

Was sind die Konsequenzen für die Väter und Kinder, wenn diese bei der narzisstischen Mutter bleiben müssen?

Für die Väter ist es dramatisch. Sie haben sich nach langer Zeit aus der toxischen Beziehung gelöst, müssen dann aber erleben, dass sie ihre Kinder nicht schützen können. Dies auszuhalten, ist sehr schwer.

Die Kinder wachsen allein mit einer narzisstischen Mutter in einer toxischen Umgebung auf. Sie müssen den Vater grundlos ablehnen und sich dem verbleibenden Elternteil anpassen, um Konflikte zu vermeiden. Mit der Trennung der Eltern verlieren sie die ausgleichende Komponente des Vaters.

Was wird unternommen, um diese Situation zu verbessern?

Das Hauptproblem liegt darin, wie Behörden und Fachpersonen mit solchen Situationen umgehen. Zunächst ist es wichtig, solche Konstellationen von «normalen» Streitigkeiten bei einer Trennung zu unterscheiden. Dann müssen rasch die richtigen Massnahmen ergriffen werden. Dazu gehören angeordnete Beratungen und Begleitungen, klare Richtlinien und ein Monitoring der Einhaltung von Anordnungen und Vereinbarungen. In manchen Fällen sind Erziehungsfähigkeitsabklärungen für beide Eltern notwendig, bevor ein Gericht oder die Kesb eine Obhutszuteilung trifft.

Diese Eltern und ihre Kinder brauchen häufig engmaschige Unterstützung und fachliche Begleitung. Zeit ist der alles entscheidende Faktor beim Schutz einer Eltern-Kind-Beziehung.

Vereine für elterliche Verantwortung und gemeinsame Elternschaft

VeV Schweiz – Verein für elterliche Verantwortung

Kontakt: 056 552 02 05 | info@vev.ch | www.vev.ch

• Beratungstreffs an 11 Standorten für Austausch unter fachlicher Leitung

• Gründungsorganisation Männer- und Väterhaus ZwüscheHalt

• Hotline (6 Tage/Woche) mit 30-minütigen Kurzberatungen für Betroffene und Fachpersonen

• Organisiert Fachveranstaltungen und erstellt Merkblätter für Fachpersonen

• Führt die Weiterbildung «GeCoBi Trennungsberater» für den Dachverband durch

GeCoBi – Schweizerische Vereinigung für gemeinsame Elternschaft

Kontakt: 031 552 05 51 | info@gecobi.ch | www.gecobi.ch

• Nationale Dachorganisation mit 11 Mitgliederorganisationen

• Gestaltet Familienpolitik durch Vernehmlassungen und Positionspapiere

• Betreibt seit 2017 einen Round Table mit Fachorganisationen

• Träger der Weiterbildung «GeCoBi Trennungsberater» (weiterbildung.gecobi.ch)

• Organisiert Fachveranstaltungen und Sensibilisierungskampagnen (z. B. genug-traenen.ch)

• Erstellt Fachbroschüren und ähnliche Unterlagen

• Stellt Referenten und Fachpersonen für Veranstaltungen Dritter

Das Interview erschien erstmals am 14.06.2024 im Tages Anzeiger.

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